Mein schönstes Weihnachtsgeschenk bist Du - Kurzgeschichte

 


Es war ein kalter und dunkler Abend von einem Dezembermontag. Bis Weihnachten gab es noch etwa drei Wochen. Für die junge Germanistikstudentin Larissa Blitzer war es für jenen Tag Schluss, nach vielen Vorlesungen an der Uni. Ein bisschen beeilend ging sie in die Fußgängerunterführung, woraus sie bei einer Straßenbahnhaltestelle auskommen sollte. Als sie den Treppen hinunter ging, hörte sie plötzlich eine schöne und engelhafte männliche Stimme, die mit Gitarrenspiel begleitet war.

Neugierig entschloss sie sich, langsamer zu gehen und rauszufinden, wer sang. Einmal in die Fußgängerunterführung angekommen, sah Larissa einen jungen Mann, der Gitarre spielte und in ein Mikrofon ein Retro-Lied sang. Larissa blieb stehen, total verzaubert von seiner Stimme, die sie emotionell berührte. Plötzlich bemerkte sie, dass neben dem Mann es einen kleinen Koffer gab, in dem schon einige Geldscheine lagen. Er ist also ein Straßenmusiker…, dachte Larissa. Aber seine Kleidung ist ja in Ordnung und er sieht toll aus…Ob er nur als Nebenjob hier auf der Straße spielt und singt?, fragte sie sich. Bestimmt wohnt er irgendwo… aber sein Geld muss er doch verdienen. Vielleicht tut er es  damit, weil er Musik liebt. Und ist doch ein Talent. Seine Stimme…, überlegte Larissa weiter. Der junge Mann sang und spielte weiter. Emotionell bewogen zog Larissa Geld aus der Tasche und gab es ihm. Er unterbrach das Lied für einen Moment und fragte: - Sicher?-

-Ja, ganz sicher. – antwortete Larissa und lächelte ihn an. Er lächelte zurück und spielte das Lied weiter.

Larissa ging ein bisschen entfernt, aber sie blickte immer noch zurück. Sie konnte kaum ihre Augen von ihm weghalten. Ich mag seine Musik. Die Weise, auf die er Gitarre spielt und singt. Ach, warum habe ich nicht seinen Namen gefragt?, solche Gedanken kreisten in ihrem Gehirn. Dann, sie guckte plötzlich an die Uhr und ein Schreck durchfuhr sie: es war schon 17:49, sie musste schnell gehen! Larissa warf noch ein Blick zum Musiker. Ich werde dich nie vergessen! Versprochen., schickte sie ihn die telepathische Nachricht, dann ging sie zum Ausgang der Fußgängerunterführung. Schnell lief sie die Treppen nach oben und erreichte die Straßenbahn. 

Der nächste Unitag war für Larissa  wieder solcher, der am Abend endete. Aber für sie war es kein Problem, sie mochte Germanistik unendlich und war in jeder Vorlesung, im jeden Seminar sehr motiviert. Es gefiel ihren Dozenten immer, wie sie ihre Arbeit leistete und die Positivität, mit der sie ihre Aufgabe erledigte. Viele hielten sie schon für eine sehr gute und versprechende Germanistin. Der Tag verging schnell und inzwischen lernte Larissa neue interessante Begriffe, Techniken, machte sehr viele Aufgaben, um ihre Kenntnisse zu trainieren. Es war für sie wieder die Zeit, nach Hause zu gehen. Sie nahm den gleichen Weg, wie am vorigen Tag, für einen bestimmten Grund: sie hoffte, den Musiker wiederzusehen und mit ihm ins Gespräch zu kommen. Diese eigene Gedanke überraschten sie: normalerweise war sie ganz scheu. Okay, an der Uni öffnete sie sich mehr, weil sie sich fürs Studium wirklich interessierte und auch, weil sie ihre Kommilitonen/Kommilitoninnen besser kennenlernen wollte. Aber nur so, mit einem Straßenmusiker ins Gespräch zu kommen? Sowas konnte sie sich vorher gar nicht vorstellen… Könnte auch gefährlich sein… Trotzdem gab es etwas in jenem Musiker, das ihr gefiel und es ermöglichte, dass sie sich in Sicherheit fühlte. 

Larissa Blitzer war überhaupt nicht die typische naive Studentin. Trotz ihres jungen Alters hatte sie schon einige Erfahrungen mit Menschen gehabt, auch schlechtere. Auch solche, die ihr so weh getan hatten, dass sie eine Therapie machen musste. Höchstwahrscheinlich war sie deshalb in einigen Situationen so scheu, so verschlossen. Aber sie wusste, dass sie sich mehr öffnen sollte. Nicht alle Menschen sind so, wie diejenige, mit denen sie früher Erfahrungen gemacht hatte, es gibt auch ganz nette, hilfsbereite und kommunikative Menschen. Man sollte ja nur suchen. Wer sucht, der findet, so lautet das Sprichwort auch…

-Hallo! – sagte plötzlich jemand. Larissa konnte ihren Augen nicht glauben: es war der junge Musiker vom vorigen Tag!

- H-Hallo! – antwortete sie stotternd. Blöder hättest du nicht antworten können…, beschimpfte sie sich selbst und fragte sich: was ist bloß mit dir geschehen?

-Was du gestern gemacht hast, war ganz nett von dir. Danke. – sagte der Musiker.

- O, nichts zu danken, gerne geschehen. – reagierte Larissa.

- Übrigens… entschuldige mir, ich habe mich nicht einmal vorgestellt. Mein Name ist Swen Krüger, ich studiere an der Musikuniversität, arbeite daneben, aber verdiene nicht genug,  um meine Reisen zu finanzieren, deshalb versuche ich es hier mit meiner Musik auch.  – sagte der junge Musiker. – Angenehm. – fügte er noch hinzu.

- Ich heiße Larissa Blitzer und studiere Germanistik an der Uni, die sich nicht weit von hier befindet. – stellte sich auch Larissa vor.

- Angenehm. – fügte sie auch hinzu.

Die zwei junge Erwachsene schüttelten einander die Hand.

-Du singst sehr gut. – sagte Larissa. – Und dein Gitarrenspiel ist auch ausgezeichnet. –

-Danke. – reagierte Swen. Plötzlich fiel ihm etwas ein.

- Und du, Larissa, kannst du singen? – fragte er und lächelte freundlich.

- Ich? Ja, aber ich singe nur als Hobby und nur wenn ich ganz allein bin, um ehrlich zu sein… - antwortete Larissa.

- Sei nicht so zurückhaltend… probieren wir einfach mal, wie wir als Duett klingen würden! – schlug Swen motivierend vor.

- Wenn du es sagst… Okay. Ich akzeptiere die Herausforderung. – reagierte Larissa. Sie selbst überraschte sich noch einmal… - Übrigens, ich hätte eine Idee… - sagte sie.

- Ich höre dir zu. – lächelte Swen.

- Bald ist es Weihnachten, singen wir etwas Weihnachtliches, was hältst du davon? – fragte Larissa. – Wir könnten die festliche Atmosphäre hier erschaffen… -

- Tolle Idee! – sagte Swen. – Wie wäre es mit O Tannenbaum? –

- Ach, mein Lieblingsweihnachtslied! –

So wurde es entschieden. Swen begleitete das Gesang mit der Gitarre. Larissa sang, klar und sanft, wie noch nie. Sie erinnerte sich daran, wie Oonagh, ihre Lieblingssängerin dasselbe Lied in einer Sendung gesungen hatte, spielte sich selbst das Video im Kopf vor und sang, als sie es damals von ihr hörte. Swen war total verblüfft. So eine Stimme hatte er noch nie vorher gehört. Larissa war ihm immer sympathischer.

 Die Leute, die sich dort befanden, hielten sich an, um sich das improvisierte Konzert anzuhören. Sehr viele gingen näher, um Geld in dem Koffer zu werfen. Am Ende des Auftritts applaudierten alle. Larissa war überglücklich. O mein Gott, das ist wohl das schönste Erlebnis meines Lebens…

Später, wenn sie allein blieben, plauderten sie noch ein bisschen miteinander.

-Deine Stimme ist auch sehr schön! – rief Swen mit voller Bewunderung aus. – Zauberhaft… -

- Danke fürs Kompliment. – lächelte Larissa.

- Hättest du daran gedacht, dich in die Musik zu vertiefen? – fragte Swen.

- Ich höre gerne Musik und singe aus Spaß. – antwortete Larissa. – Was genau meinst du, mit „dich zu vertiefen“? – fragte sie zurück.

- Ich meinte, zum Beispiel, ob du es vorhast, ein Musikinstrument zu spielen. Oder, spielen zu lernen. – erklärte Swen.

- Ach so… - überlegte Larissa. – Es gäbe ein Instrument, das ich wirklich gerne gespielt hätte. Aber das ist mein Geheimnis. Ich weihe dich ein, aber bitte, kannst du es halten? – fragte sie.

-Natürlich. Versprochen. Und auch eingehalten. – antwortete Swen.

- Okay, also, ich hätte gerne die Handpan gespielt. – sagte Larissa.

- Ich weiß, was das ist. Obwohl ich kein Expert von Handpans bin. Ich finde es schön, dass du solches Ziel dir gesetzt hast und keine Sorgen, außer mir wird es niemand wissen. Ich wünsche dir viel Erfolg. – reagierte Swen.

- Danke. – sagte Larissa.

- Gerne. – lächelte Swen. – Apropos, werden wir uns noch sehen? Darf ich deine Kontakte bekommen? – fragte er.

Larissa überlegte. – Ja, natürlich. – antwortete sie dann.

Die zwei Leute tauschten Telefonnummer und E-Mail aus und bedankten sich bei einander dafür.

-Ach du lieber Himmel, es ist so spät! – rief Larissa aus, nachdem sie an die Uhr geguckt hatte. – Ich muss gehen. Es tut mir leid. Vielen Dank für alles! Tschüss! – verabschiedete sie sich.

- Gerne! Ich melde mich bald. Tschüss! – reagierte Swen.

Beide winkten einander, dann verschwand Larissa aus seiner Sicht.

 Während der Rest der Abend, den sie zu Hause verbrachte, bekam Larissa eine Freundschaftsanfrage auf Facebook. Von einem bestimmten Swen Krüger, natürlich. Sie drückte auf „akzeptieren“.

Die drei Wochen bis zur Weihnachten vergangen schnell. Larissa hatte Semesterende und damit mehrere Aufgaben in den Seminaren, die sie super leistete. Neben der Vorbereitung fand sie immer einige Zeit, mit Swen zu chatten oder sich mit ihm zu treffen. Wenn sie zusammen waren, plauderten sie immer sehr viel miteinander und lernten einander Tag zu Tag besser kennen. Sie sangen auch sehr viel zusammen, das gefiel den Leuten, die in der Umgebung waren, ziemlich. Nicht nur in ihrer Freundschaft fanden sie die gemeinsame Stimme, sondern auch in der Musik. Swen zeigte ihr sogar seine kleine Wohnung. Auch dort verbrachten sie gemütliche Stunden in Zweisamkeit.

 Je schneller die Tage vergingen, desto bewusster wurde es den Beiden: sie haben sich in einander verliebt. Doch es noch nicht ausgesagt. Beide suchten die richtige Gelegenheit dafür und hatten sie gefunden: Weihnachten. Swen wollte Larissa etwas ganz Besonderes schenken… 

Larissa dachte auch daran, was sie Swen schenken könnte. Es fiel ihr aber nichts ein, obwohl sie ihn schon ziemlich gut kannte. Was ihr trotzdem einfiel, fand sie nicht richtig genug für ihn. Die letzte Tage waren ihr voller Stress. Dann, plötzlich fühlte sie sich wie erlichtet: weil sie Talent fürs Schreiben hatte, könnte sie ihm ein Liebeslied schreiben. Ein ehrliches, tieffühliges, ganz persönliches Liebeslied, das vielleicht gemeinsam werden könnte. Larissa machte sich auf die Arbeit. Genau in jenem Moment bekam sie eine Nachricht von Swen auf ihrem Handy: er fragte, ob sie Lust nach einem Weihnachtsabendessen am Heiligabend bei ihm hätte. Larissas Antwort war natürlich positiv. 

Der Heiligabend kam. Larissa Blitzer wählte ihr schönstes Kleid aus, schminkte sich ein ganz bisschen, dann wartete auf Swen. Es war so besprochen, dass sie zwei zusammen zu ihm gehen. Bald rief er an. Larissa antwortete kurz, dann ging sie aus ihrer Wohnung, sperrte die Tür und ging zu Swen. Sie begrüßten einander mit einem breiten und ehrlichen Lächeln. Swen wohnte nicht so weit. Während des Wegs plauderten sie sehr viel. 

Einmal angekommen, aßen sie das Abendessen zusammen, plauderten weiter. Aber diesmal war es anders. Beide fühlten, dass die Atmosphäre etwas romantischer wurde. Larissa komplimentierte für den wunderbar geschmückten Weihnachtsbaum.

Bald war es Zeit, sich die Geschenke anzuschauen. Obwohl Swen und Larissa keine Kinder mehr waren, bedeutete ihnen das Weihnachtsfest immer noch viele Freude. Aber, als junge Erwachsene fühlten sie sich glücklicher  wegen des Gebens.

Larissa guckte neugierig unter dem Weihnachtsbaum, wo sie ein ziemlich großes, rundes Paket fand. – Was ist denn das? – fragte sie und lachte verwirrt.

-Öffne es und du wirst sehen. – antwortete Swen mit einem geheimnisvollem Lächeln. – Ich hoffe, dass es dir gefällt. – fügte er hinzu. Larissa öffnete langsam und vorsichtig das Paket. Was sie sah, machte sie überglücklich. – Eine Handpan! Mein Gott! Danke, danke, danke! – rief sie aus und umarmte Swen.

- Gerne! – antwortete Swen und umarmte Larissa zurück.

- Und jetzt kommt mein Geschenk… - sagte Larissa, ging zu ihrer Tasche und nahm ein schönes Stück geschriebenes Papier daraus, das sie in Bildrahmen gestellt hatte.

- Das ist ein Liebeslied für dich. – sagte sie. – Inzwischen habe ich es rausgefunden, wie sehr ich dich liebe. Deswegen schrieb ich dir diesen Liedtext. –

 -O, was für eine  schöne Überraschung! – rief Swen aus. Er las den Text und lächelte. – Du hast es wunderbar geschrieben. Du hast ein großes Schreibtalent. – komplimentierte er.

-Danke. – sagte Larissa.

Sie sangen das Lied und spielten es auf Gitarre und Handpan.

 Danach sahen sie einander an. Swen ging Larissa näher, nahm sie vorsichtig in seinen Armen und sagte: - Ich liebe dich auch sehr, Larissa. Seit dem Tag wir uns kennengelernt haben. Ich will mit dir ein Paar im Leben so wie in der Musik formen. –

-O, Swen. Ich will dasselbe. Ich unterstütze dich  in der Musik und auch im Leben. In dir habe ich gefunden, wen ich lange suchte: mein Paar. Ich liebe dich unendlich. Und vielen Dank für die Handpan. – sagte Larissa.

-Es wäre auch toll, zusammen die Instrumente zu spielen und zu singen. – bemerkte Swen.

- Genau. – reagierte Larissa.

-Zusammen im Leben und in der Musik. – sagte Swen weiter. – Und in der Liebe. – fügte er hinzu.

- Stimmt. – lächelte Larissa.

- Eins musst du aber wissen: mein schönstes Weihnachtsgeschenk bist Du. – stellte Swen fest. – Und bleibst es immer. – fügte er hinzu.

Sie umarmten einander und küssten sich zum ersten Mal.

 




 

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