Poetry Slam im deutschsprachigen Raum - Teil 1
Hallo, servus und habidere, meine liebe Leserschaft! Wie ihr wisst, vor einem Jahr habe ich mein Studium abgeschlossen und seitdem arbeite ich als Deutschlehrerin und veröffentliche nebenbei auch Artikel hier auf diesem Blog. Mir ist die Idee gekommen, meine Diplomarbeit als Artikelreihe zu veröffentlichen (natürlich bisserl verkürzt und umformuliert). Meine Themenwahl fiel auf Poetry Slam und zwar seine Popularität im deutschsprachigen Raum. Klingt ziemlich spannend, nicht wahr? Wenn ihr gerne Poetry Slams hört, Slamgedichte liest, echte Literaturfans seid, bzw. die Literatur auch erleben und hören oder sogar sehen und fühlen wollt, und vor allem falls ihr selbst aktiv in der Slamszene seid, lest bitte weiter. Viel Spaß dabei! Anbei geht es los...
Begründung meiner Themenwahl
Aufgrund meines persönlichen Interesses an Literatur und moderne Poesie wurde ich motiviert, mich mit dem Thema ausführlicher zu beschäftigen, deshalb habe ich mich dafür entschieden, das Genre Poetry Slam zu präsentieren und darüber eine komplexe und qualitative Analyse durchzuführen, die auch solche Fragen, wie z.B. “Welche Rolle spielt Poetry Slam in der heutigen Medienwelt?” beantwortet. Ich selbst schaue und höre mir gerne Poetry Slams an, deshalb ist es kein Zufall, dass mir die Inspiration für das Thema gerade während des Anschauens von einem Video der Slammerin Julia Engelmann gekommen ist. Vielen ist der Begriff Poetry Slam entweder unbekannt oder unklar. Einige Leute behaupten, der Genre und das dazugehörige Literaturphänomen seien etwas komplett Sinnloses oder nicht ernsthaft genug. Andere sind aber der Meinung, dass Poetry Slam eine kreative und innovative Art der modernen Poesie ist und sehr nützlich dabei kommt, die Sprache besser zu verstehen oder mit Wörter auf lukrativerer Weise spielen zu können. Ich bin fest überzeugt, dass der Poetry Slam vielmehr eine positive Wirkung hat und sehr nützlich ist, denn er kann auch beim Sprachunterricht als eine kreative Art der Wortschatzerweiterung verwendet werden oder bei der Aneignung der Literatur als eine ganz besondere Weise dienen, unsere Horizonte und Wahrnehmung zu öffnen, um die Literatur selbst nicht nur kennenzulernen, sondern auch erleben und erweitern zu können. All die Poetry Slams, die ich mir angehört oder angeschaut habe, bzw. all die bisher gelesene Slamtexte geben mir das Gefühl, immer etwas ein bisschen mehr über die Welt und die aktuelle moderne Literatur und Poesie zu entdecken. Viele Poetry Slams betrachten ernsthafte Themen, wie zum Beispiel die Umwelt, die interpersonelle Beziehungen, das Altwerden, das Leben, usw. und ich finde es sehr spannend, wenn Menschen sich über diese Themen feste Gedanken machen, von diesen einen Text schreiben, den sie in der Öffentlichkeit vortragen. Eine weitere positive Eigenschaft des Poetry Slams ist, dass dessen Anhören und/oder Anschauen, oder sogar Schreiben auch für Fremdsprachenlerner als eine große Hilfe dient, denn es ist möglich, spielerisch neue Worte zu lernen und zu üben. Poetry Slam kann sogar Teil einiger kreativen Sprachübungen werden, z.B. anhand Analyse und Interpretierung berühmter Slamtexte oder eben Schreiben und Vortragen vom eigenen Text. Es ist auch interessant, die Slamkultur eines Landes zu entdecken oder sogar daran teilzunehmen. In diesem Sinne bin ich absolut für Poetry Slam und dessen Wichtigkeit engagiert, selbst als Sprachlernende habe ich viele neue Ausdrücke dank meiner regelmäßigen Beschäftigung mit dem Thema gelernt, schreibe selbst Gedichte, die ich eines Tages bei einer Poetry-Slam-Veranstaltung auf jeden Fall vortragen und bekanntmachen möchte.
Charakterisierung und Vorstellung des Genres Poetry Slam
Ursprung des Wortes: die Wörter Slemma und Slämma stammen aus dem norwegischen bzw. schwedischen Sprachraum, stehen lautmalerisch für das Zuknallen einer Tür und gingen als slam in die englische Sprache ein. Das Wort slam wird in Wörterbüchern mit Begriffen wie donnern und schmettern übersetzt, was auch der Bedeutung im Norwegischen und Schwedischen entspricht. Der Begriff slam dunk, der im Basketball das Hineinschmettern des Balles von oben in den Korb meint, zeugt davon. Slam wurde ab 1984 als Wettbewerbsform notiert, wie beispielweise beim Grand Slam im Tennis. So übernahmen auch die Veranstalter der Dichterschlachten dieses Wort und formten daraus den Poetry Slam.
Vgl. Willrich, Alexander: Poetry Slam für Deutschland. Die Sprache. Die SlamKultur. Die mediale Präsentation. Die Chancen für den Unterricht, 2010 Lektora GmbH, Paderborn, S.13
Definition
Poetry Slams sind regelmäßig stattfindende, offene Bühnen, auf denen professionelle Performance-Poeten auf Amateurschriftsteller, Kabarettisten, Rapper und literarische komiker treffen. Gleichermaßen dienen ihnen die Slam-Bühnen als Podium, um ihre Texte zu präsentieren. Meistens ist der Austragungsort eine Kleinkunstbühne, eine Kneipe oder ein Club. DJs oder Liedermacher sind in diesen clubähnlichen Rahmen für die musikalische Gestaltung in den Pausen zuständig. Bei einem Poetry Slam treten zwischen 8 bis 14 Poeten im Wettkampf gegeneinander an, indem jeder seine selbstgeschriebenen Texte vorliest. Von den teilnehmenden Slammern, wie die SlamPoeten auch genannt werden, ist ein Teil eingeladen und extra für den Slam angereist (zumeist zählen diese Poeten zu den professionellen Teilnehmern) und der andere Teil läßt sich an der Abendkasse in die Offene Liste für die Auslosung an der Teilnahme eintragen. Diese Poeten sind meistens Neulinge oder lokale Poeten. Ganz unabhängig vom Slam gibt es in jeder Stadt vier Regeln:
- der Text muss aus der eigenen Feder stammen
- es dürfen keine Requisiten genutzt werden
- es darf nur auszugsweise gesungen werden, da es sich um keinen Gesangswettbewerb handelt
- die vorgegebene Zeitdauer (i.d.R. 5 bis 7 Minuten) muss eingehalten werden.
Meistens besteht der Slam aus zwei bis vier Vorrundegruppen und einem Finale, in dem die Vorrundensieger bzw. die Erst- und Zweitplatzierten aufeinandertreffen. Am Ende jeder Vorrunde oder nach jedem Vortrag stimmt das Publikum über die zwei bis vier Finalisten ab und kürt im Anschluss an die Finalrunde auch den Sieger des Abends. Neben den Slam-Poeten spielt der Slam-Master auch eine wichtige Rolle, da er den Abend führt. Er besitzt die Aufgabe, die Veranstaltung zu moderieren, auf die Einhaltung der Regeln zu achten, sie durchzusetzten und diese auch den Gästen zu erklären. Durch ihn wird das Publikum eingestimmt und bei Laune gehalten, weil bei Poetry Slams, im Gegensatz zu klassischen Lesungen, das Publikum stark involviert ist. Zwischenrufe sind erlaubt und stellen eine Form des spontanen Feedbacks dar, sogar werden sie von einigen Slams forciert. Aber die wichtigste vom Publikum erfüllte Funktion ist die Bewertung der Beiträge: entweder wird die Jury vom gesamten Publikum gebildet - indem sie durch Applaus bzw. Stimmzettelabgabe seine Finalisten und seinen Sieger nennt - oder eine fünf- bis siebenköpfige Jury wird willkürlich ausgewählt und mittels Wertungstafeln die Poeten mit Punkten von 1 bis 10 belohnt oder bestraft. Auch hier darf der Publikum mit Applaus oder Buh-Rufen seine Zustimmung oder Ablehnung ausdrücken. In der Bewertung geht es nicht nur um den Text, sondern auch um die Vortragsart und Performance, denn bei Poetry Slams ist es wichtig, den Texten auf der Bühne möglichst viel Leben einzuhauchen und damit das Publikum zu fesseln.
Vgl. Willrich, Alexander: Poetry Slam für Deutschland. Die Sprache. Die SlamKultur. Die mediale Präsentation. Die Chancen für den Unterricht, 2010 Lektora GmbH, Paderborn, S.14-15
Geschichte
Die Idee eines Dichterwettstreits ist nicht neu, denn von Böttcher wird auf das Meistersingertum im 16. Jahrhundert (Böttcher 2009, S. 88) und von Gans auf die Rhetorik der griechischen Antike um 700 v. Chr. (Gans 2008, S. 24) verwiesen. Dort sind bereits viele Ähnlichkeiten zu finden, die sich auch auf den heutigen Poetry Slams bzw. beim Verfassen von Slam Poetry nachweisen lassen. Laut Gans handelt es sich dabei um die folgende fünf Schritte:
- das Erfinden (inventio)
- das Planen und Gliedern (dispositio)
- das Formulieren (elocutio)
- das Einprägen (memoria)
- das Vortragen bzw. Performen (pronuntiatio - actio).
Obwohl sich die Geschichte des Dichterwettstreits weit in die Vergangenheit zurückverfolgen lässt, stellt sich eine jüngere Geschichte des Poetry Slams heraus, die ihre Anfänge in den USA hat: 1975 wurde im New Yorker Nuyorican Poets Cafe ein erster Grundstein in Richtung Poetry Slam gelegt. Hier fanden Lesungen puertoricanischer Dichter, genauso wie Jazzkonzerte und Theatherprojekte statt. Gegen Ende der Siebziger Jahre fanden sich an diesem Ort immer mehr Dichter der Beat Generation ein. 1985 gründete Marc Kelly Smith in der Get Me High Lounge mit weiteren Poeten und einer Jazzband das Performance-Poetry-Team Chicago 8 Poetry Ensemble. Ein Jahr später zog das Ensemble in den Green Mill Jazz Club um, wo Smith alle zwei Wochen den ersten Poetry Slam der Welt mit dem Namen Uptown Poetry Slam veranstaltete. Ab 1987 entwickelten sich in den USA durch den Marketingspezialisten und Slam-Poeten Bob Holman weitere Poetry Slams. Auch durch den ersten National Poetry Slam in San Francisco wuchs die Beliebtheit von Slams stetig und weckte zusätzlich das Interesse diverser Medienanstalten wie MTV.
In Deutschland entstand der erste Kontakt mit Poetry Slam im Jahr 1992, als das Literaturhaus Hamburg den Slam-Poeten Bob Holman zu einer Lesung einlud. 1993 erschien im Berliner Verlag Druckhaus Galrev die Anthologie Slam Poetry. Heftige Dichtung aus Amerika. 1994 fand der erste regelmäßige Poetry Slam im Berliner Ex’n Pop statt, der von den Amerikanern Priscilla Be und Rik Maverik sowie dem Berliner Wolf Hogekamp veranstaltet wurde. 1996 fand im Münchener Substanz der erste Poetry Slam statt. Derzeit zählten die Slam-Master Patzak und Bylanzky zu den wichtigsten Poetry-Slam-Veranstaltern in Deutschland und veranstalteten acht Poetry Slams in sieben Städten (München, Gauting, Regensburg, Salzburg, Freising, Landsberg am Lech, Ulm).
Als 1997 der Hamburg ist Slamburg-Slam seine Tore öffnete, beschlossen die deutschen Veranstalter wenig später die Anstrebung einer engen Zusammenarbeit: das war der Beginn einer deutschen Slam-Szene, daraufhin fand im Oktober 1997 der erste deutsche National Poetry Slam in Berlin statt. Poetry Slam wurde ab diesem Moment jedes Jahr bekannter: zahlreiche Anthologien erschienen, die Teilnehmerzahlen auf dem National Poetry Slam nahmen jährlich zu, 2004 wurde sogar erstmals ein U20-Wettbewerb für die Nachwuchspoeten durchgeführt. In Dresden und Leipzig gründete sich im selben Jahr der Verlag Voland&Quist, über den deshalb viele Performance-Poeten publizieren, da Voland&Quist seinen Veröffentlichungen CDs und mittlerweile auch DVDs beilegt, sodass die Gedichte auch hörbar werden. Das neue Medium Poetry Clip - das Slam-Texte filmisch umsetzt und untermalt - entstand 2000 durch den Filmemacher und Slam-Poeten Wolf Hogekamp. Durch dieses Medium werden die Texte visuell und auditiv wahrnehmbar, was den Grundgedanken von Poetry Slam darstellt.
Der Sprung in die Massenmedien gelang 2007: im WDR wurde der WDR-Slam produziert, der nahmhafte Vertreter der Slam-Szene einlud, und in Köln vor Publikum einen Fernseh-Slam ins Leben rief. Ein Jahr später produzierte Sat1-Comedy die Sendung Slam-Tour mit Kuttner. Die Moderatorin Sarah Kuttner bereiste Poetry Slams in ganz Deutschland (die von einem Fernseh-Team gefilmt werden), führte dabei Interviews mit den Slam-Poeten und moderierte nur für das Fernsehpublikum, während der Slam-Master des jeweiligen Slams die Live-Moderation für das Publikum in dem entsprechenden Austragungsort übernahm. Insgesamt lässt sich feststellen, dass Poetry Slam seit 1996 immer mehr Anhänger findet und dass diese Entwicklung bis heute noch nicht abgebrochen ist, zeigen die Zahlen der nachwachsenden Slams und der Teilnehmer- sowie Zuschauerzahlen auf der deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaft (German International Poetry Slam).
Vgl. Willrich, Alexander: Poetry Slam für Deutschland. Die Sprache. Die SlamKultur. Die mediale Präsentation. Die Chancen für den Unterricht, 2010 Lektora GmbH, Paderborn, S. 15-18
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